TRACKLIST
Silence is sexy (2000/2011) – Endlich die lang erwartete Wiederveröffentlichung auf dem Bandeigenen Label Potomak von Einstürzende Neubauten
Silence is not sexy at all !!! Die Kraft der leisen Töne
Das Überraschungsmoment war und ist Programm bei den Einstürzenden Neubauten. Auf „Silence is sexy“ zelebrieren sie das Unvorhergesehene zur Meisterschaft in der Erkundung der Stille.
„Silence is sexy“ ist ein im klassischen Neubauten-Sinn wunderschönes Album, lyrisch und melancholisch. Ein musikalischer Entwicklungsroman vom metallstrotzenden Alteisen-Sound zum konstruierten Wohlklang, mit einem vertrauten Rhythmus Sog und einer zartbitteren Melancholie, verspielt, arrogant, poetisch, subversiv, dandyhaft und ausgereift.
Es ist bei seiner Erstveröffentlichung im Jahr 2000, zum 20- jährigen Bestehen der Band das bis dato wohl komplexeste Werk der Neubauten, das faszinierendste in ihrer Entwicklung. Es zeigt das Neubauten-Universum sowohl von einer bekannten, emotional berührenden, wie auch überlegt konstruktiven Seite. Es atmet eindeutig die unnachahmlich-spröde Neubauten-Handschrift und Blixas` Stimme durchschneidet die intellektuell-kryptischen Texte. Sie wird getragen von metallenen Geräuschen, aus denen einzelne Instrumente fast nicht mehr herauszufiltern sind -und von Stille. Schließlich kann ein fast nicht mehr hörbarer Ton oder ein Lachen an der richtigen Stelle zerstörerischer wirken als das nachhaltigste Wüten.
Die Faszination der Improvisation mit musikalischen Feinheiten und besonderen Instrumenten war schon immer ihr Markenzeichen und setzt sich auch hier in einer ganz neuen, beeindruckenden Art und Weise fort. Die Band schlägt die leisen, subtilen Töne an, Ironie und Selbstironie ist erlaubt. Humorvoll, wehmütig und erstaunlich zart hört sich das an, trotz der bewussten Querverweise auf die lauten Anfänge.
Statt archaischer Rhythmen zelebriert die Band nun mit Blixa Bargeld, Andrew Unruh, Alexander Hacke, Jochen Arbeit und Rudolf Moser, perkussiven Minimalismus, statt infernalischem Lärm zarte Sphärenklänge und statt spontaner Wortspiele gestochen scharfe Fabulierungen. Die Band agiert gelassen, ruhig und überraschend humorvoll. Aber auch diese Hinwendung zu moderaten Klängen begreift sich als Gegenbewegung: Die letzte Zeile des Titelgebenden Stücks „Silence is sexy“ lautet eben: „Silence is NOT sexy at all“!
Es sind die nachdenklichen Stücke , die den Charakter des Albums ausmachen. Doch blitzen diesmal auch der spröde Humor der Neubauten verstärkt auf und eine leichte Rückbesinnung auf die Experimente der Anfänge. Es gibt nicht ein zentrales Stück, sondern viele.
In „Sabrina“ werfen sie die Frage auf, welche Farbe den Tönen zugeordnet werden kann. Schwarz ist ihre Antwort. Schwarz ist der Klang der Stille, die Farbe der Melancholie, die über dem Land und über der Stadt liegt.
„Silence is sexy“, das Titelstück des Albums, bewegt sich zyklisch hart an der vollkommenen Stille entlang. Es ist gerade der spannende Umgang mit Stille, der „Silence is sexy“ tatsächlich sexy macht. Auf dem live eingespielten Titelsong swingt ein Baß, untermalt von dezenter Percussion, darüber der Gesang, und nach jeder Strophe gibt es eine Pause, in der man nichts als das Knistern einer Zigarette hört. Leiseste Geräusche werden hörbar gemacht wie das Ziehen an einer Zigarette, das Atmen und die Geräusche in der Mundhöhle. Bewegung, Innehalten, Beschleunigung sind die Stationen auf der Erkundung der Ambivalenz.
Scharf- und feinsinnig, mit lakonischen Metaphern wird die „Befindlichkeit des Landes“ analysiert. Dazu kehrt der Meister des intellektuellen Pathos eine ironische Gelassenheit an den Tag. Blixa Bargeld betrachtet Berlin aus der Sicht eines künftigen Archäologen, auf die Frage nach der Befindlichkeit der Stadt, des Landes antwortet er prophetisch:
„Die neuen Tempel haben schon Risse/ künftige Ruinen/ einst wächst Gras auch über diese Stadt.“
Sie haben ihr Terrain weiter ausgedehnt, egal, ob es nun um die Reflexion zwischen dem eigenen Schönheitsbegriff und der eigenen Wahrnehmung in „Beauty“ geht, die Frage nach angeblicher Unverrückbarkeit der Identität in „Redukt“ oder einfach nur um humorvolle Traumtänzerei, die den Spaß um seines selbst willen feiert.
Doch auch die frühen Tage wurden nicht vergessen: „Zampano“ ist so ein Stück, erklärt Bargeld, „das ich nicht programmieren oder spielen wollte, sondern mit einem pneumatischen Kolben aufzunehmen… „wir müssen immer etwas finden, das wir noch nicht gemacht haben. Das bringt natürlich mit sich, dass die Sachen immer fragiler werden, denn das Brachiale haben wir schon Anfang der 80er ausgekostet.“
Die Silben und Maschinengeräusche, die Melodien und Brüche, die Bilder und Risse fügen sich zu einer tönenden Ordnung wider den Stillstand und die Gewissheit.
Sie spielen Maschinenmusik ohne Wut und Zorn, reflektieren Befindlichkeiten, ohne dem Zeitgeist blind zu folgen. Ein Album, an dem man nicht vorbeikommt, eine singuläre Erscheinung in der Geschichte der deutschen Rockmusik.
Die Feinheiten und Hintersinnigkeiten der Bargeld`schen Text-Welten und der durchsichtigen Klangarchitektur machen einen ganz besonderen Neubauten-Reiz aus, zerbrechliche Poesie, Wortspiele und philosophische Lyrik anstelle von Schrottplatz. Es gehört eine Menge Courage dazu, so jenseits von Gut und Böse zu sein.
WRITTEN & COMPOSED BY
Jochen Arbeit, Blixa Bargeld, Alexander Hacke, Rudi Moser, N.U. Unruh.